Im Vereinigten Königreich ist jetzt Boris Johnson der neue Premierminister von 66 Millionen Briten. Er wurde nicht durch eine Volkswahl, sondern nur von rund 100.000 der 160.000 Mitglieder der Tory Party zu ihrem Parteivorsitzenden gewählt. Damit beerbte er beide Funktionen von Theresa May, Tory-Parteivorsitz und das Amt des Premierministers. Johnson erinnert mich ein bisschen an einen frechen Schüler, der als Klassenclown zwar beliebt und intelligent, aber unglaublich faul ist und am Ende dann doch immer durch kommt. Ob es diesmal für den neuen britischen Premierminister wieder so ausgehen wird? Johnson, der ständig seine Meinung änderte, je nachdem wie es für ihn gerade opportun erschien. Noch als Londoner Bürgermeister vertrat er sozialliberale Ansichten. Beim Thema Brexit war er zu Beginn bei den Befürwortern eines Verbleibs des Vereinigten Königreichs bei der EU und pries die Vorzüge des Freihandels, bis er ins Camp der Brexiteers wechselte, weil er sich mit dieser Positionierung bei den konservativen Tories bessere parteiinterne Karrierechancen ausrechnete. Das Thema Brexit ist also nach einer wohltuenden Pause wieder zurück auf der politischen Agenda. Die Herausforderungen sind aber die gleichen geblieben. Auch ein Boris Johnson wird Themen wie die Nordirland-Grenze und das 585-seitige EU-Austrittsabkommen, das schon dreimal im Unterhaus gescheitert ist, nicht einfach wegzaubern können. Viele Beobachter in Brüssel rechnen mit einem ungeordneten Brexit. Bis dorthin sind planmäßig noch 95 Tage, es sei denn, das Vereinigte Königreich ersucht um einen neuerlichen Aufschub und hat dafür auch gute Gründe. Also, keine Schonfrist für Boris Johnson! Seitens der EU wird das Austrittsabkommen nicht mehr aufgemacht werden. Boris Johnson ist also unter Zugzwang, seine vollmundigen Versprechen einzuhalten. Viel Spielraum aus der Sackgasse heraus zu kommen, hat er nicht. Und Blenden und Bluffen wird nicht mehr genügen. Ein Premierminister sollte verantwortungsvoll für die Zukunft seines Landes sorgen. Einen EU-Austritt ohne Abkommen sollte er um jeden Preis vermeiden. Nur gut, dass die EU auf alle Eventualitäten vorbereitet ist.